e m r k . a t
Artikel 2 des 7. Zusatzprotokolls zur EMRK - Rechtsmittel in Strafsachen
Abs.1: Wer von einem Gericht wegen einer Straftat verurteilt worden ist, hat das Recht,
das Urteil von einem übergeordneten Gericht nachprüfen zu lassen.
Die Ausübung dieses Rechts und die Gründe, aus denen es ausgeübt werden kann, richten sich nach dem Gesetz.
Abs.2: Ausnahmen von diesem Recht sind für Straftaten geringfügiger Art, wie sie durch Gesetz näher bestimmt sind,
oder in Fällen möglich, in denen das Verfahren gegen eine Person in erster Instanz vor dem obersten Gericht stattgefunden hat
oder in denen eine Person nach einem gegen ihren Freispruch eingelegten Rechtsmittel verurteilt worden ist.
Österreichischer Vorbehalt zu dieser Bestimmung:
„als übergeordnete Gerichte im Sinne des Art. 2 Abs.1 sind auch der Verwaltungs- und der Verfassungsgerichtshof anzusehen“;
Der EGMR hat diesen Vorbehalt bislang als zulässig angesehen (vgl. etwa dessen Urteil vom 7.12.2006,
BeschwNr. 37.301/03 im Fall Hauser-Sporn gegen Österreich*: es deutet nichts darauf hin, dass die Überprüfungsbefugnis
des VwGH im abgeführten Verwaltungsstrafverfahren im Hinblick auf Art.2 des 7. ZP unzureichend gewesen wäre).
Ratifikationsstand: bis 28.12.2018 haben 44 Mitgliedstaaten des Europarates dieses Zusatzprotokoll ratifiziert;
es fehlen: Deutschland, England und die Niederlande.
E M R K |
Art.2 des 7. ZP |
Ehegatten |
RA Dr. Postlmayr |
Entscheidungen:
Hauser-Sporn* - Österreich;
Urteil vom 7.12.2006, BeschwNr. 37.301/03;
(Rechtsvertretung durch RA Dr. Postlmayr, Mattighofen)
Rz. 51 + 52 : der
Ablehnungsbeschluss des VwGH nach § 33a VwGG ist
vergleichbar mit einer Entscheidung über die
Zulässigkeit des Rechtsmittels,
was betreffend Art.2 des 7. ZP zur
EMRK ausreichend ist.
Dieser Teil der Beschwerde ist iSd
Art.35 Abs.3+4 EMRK unzulässig.
Im Übrigen: Verletzung der Art.6
Abs.1 und Art.13 EMRK.
Carlson gegen die Schweiz;
Urteil vom 6.11.2008; BeschwNr. 49.492/06
Zurückweisung der Beschwerde zu
Art. 14 EMRK und Art. 5 des 7. ZP zur EMRK, weil
dazu der innerstaatliche Instanzenzug nicht
ausgeschöpft wurde (Vorbringen erst in einem Antrag
auf Urteilsberichtigung) - Art. 35 Abs.3+4 EMRK.
Verletzung des Art. 8 EMRK in
einem Verfahren betreffend Rückgabe eines des
gemeinsamen Sohnes nach dem Haager Übereinkommen
über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler
Kindesentführung.
Entgegen Art. 13 dieses
Übereinkommens wurde dem Beschwerde führenden
Kindesvater der Beweis auferlegt, dass er der
Verbringung des Sohnes nicht zugestimmt hat.
Verletzung der Waffengleichheit; dies wurde auch
nicht durch die richtige Anwendung dieses
Übereinkommens durch das Berufungsgericht saniert,
weil die Vorgangsweise des Bezirksgerichts den
Beschwerdeführer in eine benachteiligende Situation
gebracht hat, was sich maßgeblich auf die
gerichtliche Entscheidung ausgewirkt hat.
Kirakosyan –
Armenien
vom 2.12.2008, BeschwNr. 31.237/03; Rz. 83 - 86
10tägige
Verwaltungshaft wegen Missachtung von polizeilichen
Anordnungen im Zuge einer Amtshandlung.
Reg.: das
Rechtsmittel nach § 294 VStG steht dem Bestraften zur
Verfügung.
Der
Beschwerdeführer hat die Verletzung des Art.13 EMRK
geltend gemacht, dies wird aber zu Art.2 des 7.ZP
geprüft.
Verletzung
dieser Konventionsbestimmung (und Art.6 Abs.1 und Abs.3
lit.b EMRK)
Verweis auf
den Fall Galstyan.
Galstyan –
Armenien
vom 15.11.2007, BeschwNr. 26.986/03; Rz. 124 – 127
3 Tage
Verwaltungshaft (Maximum: 15 Tage), daher criminal
charge - - Art.6 EMRK anwendbar.
Das
Rechtsmittel nach § 294 VStG kann nur vom Staatsanwalt
und dem Vorsitzenden des OGH erhoben werden, sei es auf
Antrag des Bestraften oder unabhängig davon. Dies ist
daher kein Rechtsmittel, welches den Anforderungen des
Art.2 des 7. ZP entspricht (keine klare Regelung mit
Fristen etc.).
Verletzung des
Art.2 des 7. ZP zur EMRK.
zit. Judikatur
zur Anwendbarkeit des Art.6 EMRK:
Weber -
Schweiz
vom 22.5.1990, A-177, Rz.34:
Strafe bis CHF
500, tw. umwandelbar in eine Freiheitsstrafe = criminal
charge; Art.6 EMRK ist daher anwendbar.
Palaoro –
Österreich
vom 23.10.1985, A-329, Rz. 33 – 35:
ATS 4000 und
6000 wegen 150 statt 100 und 197 statt 130 km/h 31 sec
später.
8 und 10 Tage
ErsFrstr - - criminal charge - - Art.6 EMRK
anwendbar.
E M R K |
Art.2 des 7. ZP |
Ehegatten |
RA Dr. Postlmayr |
Engel -
Niederlande
vom 8.6.1976, BeschwNr. 5100/71; sog.
„Engel-Kriterien“
Drei Kriterien
zur Prüfung des Vorliegens einer strafrechtlichen
Anklage
Baischer –
Österreich
vom 20.12.2001, 32.381/96
ATS 4000 / 6
Tage ErsFrStr nach § 103 Abs.2 KFG.
VwGH #
Tribunal iSd Art.6 EMRK (Rz.29). Der VwGH hat keine
umfassende Jurisdiktion
Rz.22: Art.6
EMRK ist auf das österr. Verwaltungsstrafrecht
anwendbar; zitiert:
(Gradinger
– Österreich vom 23.101995, BeschwNr. 15.963/90:
Rz. 43: der
VfGH ist kein Tribunal iSd Art.6 EMRK
VfGH prüft
nur, ob verfassungskonform entschieden wurde
Rz. 44: der
VwGH ist kein Tribunal iSd Art.6 EMRK
VwGH hat keine
umfassende Jurisdiktion; keine Möglichkeit der Aufhebung
wegen Sach- und Rechtsfragen
Rz. 45:
Verletzung des Rechts auf Zugang zu einem Gericht iSd
Art.6 EMRK
Demicoli –
Malta
vom 27.8.1991, A-210, Rz. 31 – 34:
250
maltesische Lira verhängt, max. 500 oder 60 Tage
Freiheitsstrafe oder beides = criminal charge - - Art.6
EMRK anwendbar.
Putz –
Österreich,
Beschluss der Kommission vom 3.12.1993, DR 76-A,
BeschwNr. 18.892/91:
Gerichtliche
Sitzungspolizei; max. ATS 10.000 (max. 8 Tage ErsFrstr)
= geringfügig !
Kambourov
(Nr.2) – Bulgarien
vom 23.4.2009, BeschwNr. 31.001/02, Rz. 22 – 27
Keine
Geringfügigkeit der Übertretung des G aus 1963 –
Verwaltungsübertretung der Störung der öffentlichen
Ordnung; Strafrahmen bis 15 Tage Freiheitsstrafe =
strafrechtliche Anklage iSd Art.6 EMRK.
Stanchev –
Bulgarien
vom 1.10.2009, BeschwNr. 8682/03, Rz. 44 – 49:
Keine
Geringfügigkeit der Übertretung des G aus 1963 –
Verwaltungsübertretung der Störung der öffentlichen
Ordnung; Strafrahmen bis 15 Tage Freiheitsstrafe =
strafrechtliche Anklage iSd Art.6 EMRK (drei Kriterien:
a) Qualifizierung der Tat im innerstaatlichen Recht b)
Art der Tat und c) Schwere der Sanktion).
Verletzung des
Art.2 des 7. ZP zur EMRK.
E M R K |
Art.2 des 7. ZP |
Ehegatten |
RA Dr. Postlmayr |
Tsvetkova –
Russland;
Urteil vom 10.4.2018, BeschwNr. 54.381/08 und fünf
andere
Rz. 186 – 192:
Keine
aufschiebende Wirkung der Berufung gegen eine
Verwaltungsstrafe (Haft).
Verletzung des
Art.2 des 7. ZP zur EMRK, woran die Möglichkeit der
Amtshaftung nichts ändert. Aber keine Verletzung der
Unschuldsvermutung nach Art.6 Abs.2 EMRK.
Gurepka –
Ukraine;
Urteil vom 6.9.2005, BeschwNr. 61.406/00
Rz. 57 – 62:
Verletzung des Art.2 des 7. ZP zur EMRK
So wie beim
Recht auf Zugang zu einem Gericht nach Art.6 Abs.1 EMRK
muss auch bei der Beschränkung dieses Konventionsrechts
ein legitimes Ziel verfolgt und darf der Wesensgehalt
des Rechts nicht beeinträchtigt werden.
Damit das
Rechtsmittel effektiv ist, darf es nicht von der
Zustimmung einer Behörde abhängen sondern direkt zur
Verfügung stehen. Hier darf das Rechtsmittel nur durch
die Staatsanwaltschaft oder den Präsidenten des
Gerichtes eingebracht werden.
Gurepka –
Ukraine (Nr.2);
Urteil vom 8.4.2010, BeschwNr. 37.789/04
Rz.33: wenn
für eine Verwaltungsübertretung Haft vorgesehen ist,
handelt es sich um keine strafbare Handlung
geringfügiger Art iSd Art.2 Z.2 des 7. ZP zur EMRK.
Krombach –
Frankreich;
Urteil vom 13.2.2001, BeschwNr. 29.731/96
Rz. 96 – 100:
das Rechtsmittel kann auf Rechtsfragen beschränkt sein;
auch das Erfordernis dessen Zulassung kann
konventionskonform sein. Wie beim Recht auf Zugang zu
einem Gericht nach Art.6 Abs.1 EMRK muss die
Beschränkung dieses Rechts ein legitimes Ziel verfolgen
und darf dessen Wesensgehalt nicht beeinträchtigen. Es
gibt keine ordentliche Revision gegen Urteile des
Geschworenengerichts, nur eine solche beschränkt auf
Rechtsfragen; nicht aber gegen ein Abwesenheitsurteil –
Verletzung des Art.2 des 7. ZP zur EMRK.
Kakabadze –
Georgien;
Urteil vom 2.1.2013, BeschwNr. 1484/07, Rz. 95 + 96:
Da die
Erhebung des Rechtsmittels von der Zustimmung eines
anderen Organs abhängig ist, handlet es sich nicht um
Rechtsmittel iSd Art.2 des 7. ZP zur EMRK – Verletzung
dieses Rechts.
E M R K |
Art.2 des 7. ZP |
Ehegatten |
RA Dr. Postlmayr |
Galstyan –
Armenien;
Urteil vom 15.11.2017, BeschwNr. 26.986/03
Verhängung
einer dreitägigen Verwaltungshaft nach § 172 VStG –
diese Strafe konnte damals nur vom Staatsanwalt
angefochten werden.
§ 294 VStG –
ist kein Rechtsmittel iSd Konventionsbestimmung.
Wie beim Recht
auf Zugang zu einem Gericht nach Art.6 Abs.1 EMRK muss
auch bei der Beschränkung dieses Konventionsrechts ein
legitimes Ziel verfolgt und darf der Wesensgehalt des
Rechts nicht beeinträchtigt werden.
Rz. 123:
Verletzung des Art.2 des 7. ZP zur EMRK
Müller –
Österreich;
Urteil vom 5.10.2006, BeschwNr. 12.555/03
Verwaltungsstrafverfahren wegen Übertretung des AuslBG.
Der UVS ist
ein Tribunal iSd Art-6 EMRK.
Ablehnung der
Behandlung der Beschwerde durch den VfGH, Abweisung
durch den VwGH.
Rz.25: die
Überprüfung des UVS-Erkenntnisses durch den VwGH ist
ausreichend – diesbezüglich Unzulässigkeit der
Beschwerde nach Art.35 Abs.3 und 4 EMRK.
§ 5 VStG –
keine Verletzung der Unschuldsvermutung nach Art.6 Abs.2
EMRK.
Hubner –
Österreich;
Zulässigkeitsentscheidung vom 31.8.1999, BeschwNr.
34.311/96
In manchen
Mitgliedstaten muss die Zulässigkeit des Rechtsmittels
beantragt werden, was betreffend Art.2 des 7. ZP zur
EMRK unproblematisch ist.
Das Recht auf ein Rechtsmittel kann durch Gesetz
eingeschränkt werden.
§ 33a VwGG;
keine parteiische Gesetzesauslegung oder –anwendung.
Unzulässigkeit
der Beschwerde.
Hauser –
Österreich;
Zulässigkeitsentscheidung vom 16.1.1996, BeschwNr.
26.808/95
§ 33a VwGG:
der VwGH hat die Behandlung der Beschwerde gegen das
Erkenntnis des UVS Salzburg abgelehnt; dies ist eine
Entscheidung über die Zulässigkeit eines Rechtsmittels,
was iSd Art. 2 des 7. ZP ausreichend ist. Unzulässigkeit
der Beschwerde.
E M R K |
Art.2 des 7. ZP |
Ehegatten |
RA Dr. Postlmayr |
Weh - Österreich;
Zulässigkeitsentscheidung vom 4.7.2002, BeschwNr.
38.544/97
In den Mitgliedstaaten gibt es
verschiedene Regelungen betreffend die Zulässigkeit
eines Rechtsmittels gegen ein Strafurteil an ein höheres
Gericht.
In manchen Mitgliedstaaten muss die
Zulassung des Rechtsmittels beantragt werden, was einer
Entscheidung iSd Art.2 des 7. ZP gleichzuhalten ist.
Der Ablehnungsbeschluss des VwGH
nach § 33a VwGG ist vergleichbar mit der Entscheidung
über die Zulässigkeit des Rechtsmittels.
Kein Anschein einer Verletzung
dieser Konventionsbestimmung - Unzulässigkeit der
Beschwerde.
Rostovtsev –
Ukraine;
Urteil vom 25.7.2017, BeschwNr. 2728/16
Rz. 36: das
Rechtsmittel des Beschwerdeführers wurde inhaltlich
nicht geprüft - Verletzung des Art.2 des 7. ZP zur EMRK.
Die neue
Rechtslage in der Ukraine ändert an dieser rechtlichen
Situation des Beschwerdeführers nichts.
Zhelyazkov –
Bulgarien;
Urteil vom 9.10.2012, BeschwNr. 11.332/04
Kein
Rechtsmittel gegen Bestrafungen wegen
Verwaltungsübertretungen.
Rz. 39 – 45:
keine geringfügige Strafe, weil für diese
Verwaltungsübertretung Haftstrafe vorgesehen ist.
Verletzung des Art.2 des 7. ZP zur EMRK.
In der Folge
hat der bulgarische VfGH dies als konventionswidrig
aufgehoben.
Mikhaylova –
Ukraine;
Urteil vom
6.3.2018, BeschwNr. 10.644/08
Rz. 102: ein
Antrag des Bestraften nach § 294 ukr. VStG auf Erhebung
einer Berufung gegen ein Strafurteil ist kein
Rechtsmittel iSd Art.2 des 7. ZP zur EMRK.
Das Rechtsmittel kann nur angeregt
und müsste von der Staatsanwaltschaft oder vom
Gerichtspräsidenten eingebracht werden.
E M R K |
Art.2 des 7. ZP |
Ehegatten |
RA Dr. Postlmayr |
|